Cover_19-6_gruen_low

Schweizer Fachzeitschrift
für Publishing und Digitaldruck


Ralf Turtschi Es ist Tatsache: Am 10. Juni 2010 begann für mich ein neues Zeitalter in einem Konsumgütergeräteschuppen. Das letzte vorrätige iPad 3G fand seinen Besitzer. Das Prepaid-Guthaben von 20 Franken kam mit dem Swisscom-Vertrag, die ersten Downloads frassen schon einige Fränkli weg. Per Swisscom-Hotline wollte ich das Startguthaben in ein 19-Franken-Prepaid-Abo umwandeln. Man bescheinigte mir, das Guthaben betrage noch 14 Franken, und dies würde für ein Upgrade nicht genügen.Ich möchte doch bitte in einem Swisscom-Shop die fehlenden fünf Franken prepayeden. Gesagt, getan. Dort beträgt die Mindestzahlung aber zehn Franken, sodass mein Guthaben alsdann satte 24 Franken aufwies. Nochmals Hotline anrufen – blabla – drücken Sie die Taste 4 – blabla – drücken Sie die Taste 2 – blabla – drücken Sie die Taste 19 – endlich eine Menschenstimme – iPad-Nummer bekanntgeben und Abo upgraden. Für 19 Franken Prepaid-Abogebühr im Monat liegen jetzt lächerliche 300 Megabyte Download drin. Zwischen dem Prepaid-Abo für 19 Stutz mit 300 MB und 39 Stutz mit 2 GB liegt einzig die Ersteinlage mit dem Unterschied von 20 Stützen. Dumm also, wer nicht die 39er-2-GB-Variante wählt. Denn bereits nach 2 Wochen waren bei mir 385 Megabyte auf dem Tablett, die wahrscheinlich fürstlich honoriert sind. Zudem verweigert das 3G-iPad ausserhalb der Schweiz den Internetzugang. Über Hotspots/WLAN in Hotels waren kostenpflichtige einmalige Zugänge möglich, die Grundgebühr betrug je nach Standort zwischen 0 und 7 ­Eu­ro. Mit anderen Worten: Wer eine App im Ausland herunterlädt, kann tolle Überraschungen erleben. Wir Möchtegern-Sans-Papiers werden mehrfach im Dunkeln gelassen. Beispielsweise, wenn wir die Monopolstruktur von ­Apple, iTunes und App-Store benützen, denn Apple kassiert bei jedem Download 30% mit. Vergleichbar, wie wenn ein Bildschirmhersteller bei jeder TV-Sendung 30% mitverdienen würde. Der so gesicherte Geldstrom vergrös­sert sich proportional zu den Apps und Anwendern, weltweit. Apps sind bereits wertvoller als Tonerpulver, das seinerzeit den Goldpreis um ein Mehr­faches übertraf.

Weiter wird man von der Telekomgesellschaft abgezockt, welche die Tarife so auslegt, dass appeln chic und teuer wird. Es gibt Apps, die sind allein über 500 Megabyte schwer. Ausgesprochen gemogelt ist es, gewisse Apps mit «gratis» zu deklarieren. Die Downloadgebühren können weit über dem Printpreis liegen. Die Prepaidzahlung wird nicht einem einzelnen Produkt zugeordnet, sondern dem intransparenten System.

Je unverschämter Apple und die Telekommunikationswirtschaft zulangen, desto weniger attraktiv for the rest of us. Wir warten auf eine SIM-Karte für iPhone und iPad und Angaben von Datenmengen und Preisen vor dem Download! Ich werde halt die Apps über den Highspeed-Anschluss von Cablecom gratis herunterladen und sie anschlies­send aufs iPad synchronisieren.

Trotz allen Ärgers: Das iPad wird die Welt und mich begeistern. Und zwar nicht in der ultimativen und Angst verbreitenden Art «entweder – oder», Print oder digitale Verbreitung, sondern als Ergänzung zum Bestehenden. Im Flieger liest sich die App-Zeitung bequemer – und als Film dargebotene Kochrezepte sind für den Anfänger bestechend: SVP-Männer, an den Herd!

Im Wechselbad zwischen Euphorie und Ernüchterung werfe ich einen Blick über meinen Badewannenrand auf die frei ausufernde «grafische Branche». Immer wieder höre ich, Offset brächte bessere Qualität als Digitaldruck. Die Qualitätsdiskussion wird regelmässig an ­Stan­­d­ards aufgehängt. Mit Verlaub: Dies ist doch ein Buebetrickli, um die wahren Innovationen auszublenden. Denn es gibt nun einmal nicht den Digitaldruck, genausowenig wie es den Offset gibt. Oder wird jemand jemals Visitenkarten mit der Zeitungsrotation drucken? Oder auflagenstarke Magazine auf einer 50/70-Maschine ausgeben? Es gibt unterschiedliche Systeme für unterschiedliche Märkte. Es gibt kein «Entweder-oder». Aber nun kommt das iPad.

Standards sind für viele ein «Rettungsring», um belegbare und wiederholbare «Qualität» anbieten zu können und nicht in Reklamationen zu ertrinken. Eigentlich geht es nur gerade darum, Farbe aufs Papier zu bringen. Das ist zwar nachvollziehbar, es verhindert aber im offenen Datenmeer nicht die Unterkühlung, die trotz PSO-Rettungsring früher oder später eintreten wird. Der momentane Zertifizierungsfimmel ist zwar nicht als Lüge zu deklarieren, aber als halbe Wahrheit, weil Standards bei nicht messbaren Qualitätsfaktoren fotografischer, textlicher, typografischer und reprotechnischer Natur versagen. Ein astreines PDF-X-ready-­Dokument kann sowohl Schwachsinn als auch wertvolle Informationen enthalten. Es merkt nicht, ob eine frigide Typo mit scheusslich flauen Bilder enthalten ist. Die findigen PSO-Festungswächter stopften dieses Qualitäts­manko mit dem Drehmomentschlüssel für die Gummituchspannung, der als Voraussetzung für den swissPSO gilt (www.swiss-pso.ch). Leider blieben der ebenso wichtige Farbspachtel und das Sackmesser mit Zapfenzieher unerwähnt. Die an sich schon schräge PSO-Situation erreicht damit schon fast Kultstufe.

Drucker müssen sich die Frage stellen, ob man sich mit der Farbe-Papier-CO2-Fussabdruck-Diskussion nicht in eine ­Sackgasse manövriert, währenddem die Navigation und das bewegte Bild auf dem iPad eine ganz an­dere Faszination ausüben. Papierpreiserhöhung: Wen kümmerts? Schriftart, ­Lesegrösse oder Hintergrundfarbe werden den Konsumenten überlassen. Es wird IT-Standards für den Datentransfer brauchen, das sei nicht bestritten. Aber der CMYK-Druck wird in der Medienwelt von morgen nicht mehr die Hauptrolle spielen. Denn ­alles, was digital werden kann, wird digital werden. Und mit dem bevorstehenden elektronischen Briefkasten der Post wird die physische Distribution von Printprodukten noch mehr unter Druck geraten. Nachhaltig.